Es wird dunkel
November 2020
von Luisa
Der Herbst ist nun mit seiner dunklen Seite bei uns angekommen. Die Kraniche flogen über unsere Mühle gen Süden und der große Walnussbaum trägt fast schon keine Blätter mehr. Gut, dass wir es so gemütlich haben!
Gründungsfreuden
Wieder ist viel passiert in den letzten Wochen! Nachdem wir erfolgreich unseren gemeinnützigen Verein gegründet haben, der vor allem für unsere Projekte in der Region den rechtlichen Rahmen bildet, geht die Genossenschaftsgründung in die heiße Phase. Wir sitzen mit rauchenden Köpfen über Finanzplänen und lernen viel über Abschreibungen, Bilanzen und Rücklagenbildung. Das hätten wir auch nicht gedacht, dass wir das mal für eine gesellschaftliche Transformation würden lernen müssen.
Sexismus und Apfelmus
Auch in unserer Küche wuselte es. Es wurden Martinshörnchen, Apfelstrudel, Zimtschnecken und Sauerteigbrot gebacken. Wir haben Kombucha gemacht, tonnenweise Apfelmus, milchsauer eingelegtes Gemüse und Schlehen wie Oliven eingelegt.
Nun geht unser erster Zyklus mit dem Neumond zu Ende, in dem wir uns viel mit der sozialen Dimension der Transformation beschäftigt haben. Aus diesem riesigem Feld spukte vor allem ein Thema in unseren Köpfen: Sexismus. Denn natürlich verschwinden nicht all die Prägungen, die wir in der sexistischen Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind, nicht, wenn Menschen beschließen in eine Gemeinschaft zu ziehen und sich nach Bedürfnissen zu organisieren. So stießen wir in der Küche, vor der Kamera, im Plenum, in den Arbeitsgruppen und an unserem Küchentisch auf die Hinterlassenschaften dieser strukturellen Gewalt. Privilegiert wie wir sind konnten wir uns auch einen ganzen Tagesworkshop mit Nora leisten, die uns für einen Samstag besuchte. Außerdem basteln wir in unseren Köpfen an einer Performance zum Thema „Männlichkeiten*“ und lesen und hören fleißig Artikel und Podcast zu dem Thema, das uns wohl für immer begleiten wird und fragen uns welche antisexistischen Strukturen wir in unserem Gemeinschaftsleben verankern können.
Wie machen wir das jetzt mit dem Wandeln?
Für ein Wochenende haben wir uns auch der Frage nach unserer politischen Strategie gewidmet. Wir gaben uns Input über verschiedene historische Beispiele sozialer Bewegungen und Strategieansätze und saßen zwischen großen Postern mit vielen vielen Post-it auf denen wir unsere Netzwerke kartierten. Im ökonomischen Zyklus werden wir dann aus den Ergebnissen dieses Wochenendes konkreter an Projekten feilen, mehr verraten wir hier noch nicht.
Never ending Einziehen
Neben diesen inhaltlichen Fäden, beschäftigt uns auch noch das Ankommen und Einziehen jeden Tag. Einige Kisten sind immer noch nicht ausgepackt, der Bau unserer Küche schreitet beständig voran, wir bekommen wunderschöne Möbel aus Hausauflösungen geschenkt, Thilda baut täglich irgendwelche grandiosen Dinge und die Organisation von unseren Sorgetätigkeiten wird immer ausgefuchster.
Wandernde Geschichten
Leider können wir nicht mehr zum lustigen Kaffeeklasch einladen, obwohl unsere Backkünste jeden Tag zunehmen. Die Zeiten des Abstands sind wieder da. Dabei haben wir uns doch vorgenommen auch bei jedem Zyklus etwas für die Region zu tun. Natürlich hätte im sozialem Zyklus ein Fest oder eine Zukunftswerkstatt angestanden, etwas was Menschen zusammen oder ins gemeinsame Visionieren bringt. Stattdessen wandern nun Briefe in Waldkappel umher, in denen Menschen eine Geschichte zum Weiterschreiben cokreieren: Alle schreiben einen Satz und geben die Geschichte an eine*n Nachbar*in weiter. Am Ende landen die Geschichten den hoffentlich bei uns, dann teilen wir sie gerne auch hier!
Landeplätze für Investitionen bereiten
Damit bald ganz viel Geld bei uns sicher geparkt werden kann, anstatt auf der Bank zu versauern, bereiten wir gerade unser großes Crowdfunding vor. Neben der Gründung unserer Genossenschaft brauchen wir dafür natürlich ein knackiges Video mit unserer Vision und viele Menschen, die uns bei sozialen Medien folgen. Deswegen waren viele von uns in den letzten Tagen damit beschäftigt unsere Geschichten in Kameras zu sprechen ohne uns zu verhaspeln, zu schneiden, Bilder zu posten und Nachrichten zu beantworten. Wir sind nun auf Facebook, Instagram und Youtube zu finden und haben außerdem einen Telegram Chanel Außerdem trudeln nun die ersten Spenden bei uns ein und lösen freudiges Gekreische beim Mittagsessen aus und unser Hütekreis wächst und wächst.
Herbstlichkeiten
Während ich diese Geschichten auftippe, scheint es mir, als würde ich von vielen parallelen Explosionen erzählen und manchmal fühlt sich das auch wirklich hier so an. Dann läutet unsere Glocke sieben Mal am Tag um irgendwelche Arbeitskreistreffen anzukündigen, dann kommt eine aufregende Mail nach der anderen in unser Postfach, dann freuen wir uns wieder uns wieder über die schönen Kontakte mit den Menschen hier und eine spannende Neuigkeit nach der anderen wird erzählt, während wir unsere Hirse löffeln.
Neben dieser Reizüberflutung und Schnelligkeit gibt es aber auch die stillen Momente. An nebeligen Morgen stapfe ich hinter unserem Haus über die Weiden und kann die Graureiher begrüßen, die mir schon ganz vertraut sind. Das gemeinsame Innehalten vor dem Essen, an denen wir uns an den Händen halten und die Abende an denen wir uns in dicke Decken kuscheln und Brüder Löwenherz vorlesen. Und manchmal bin ich ganz dankbar, dass der Herbst da ist und uns mit seiner Stille und Dunkelheit daran erinnert nicht zu vergessen den Herbst in uns ein Zuhause zu geben: Zeiten der Ernte, des Feierns, des einander Nährens und des Loslassens.
Luisa